Sexszenen schreiben – Ein kleiner Guide

Frontcover eines Romans mit dem Titel „Die Erziehung der Sekretärin“ von Kara Dimalka. Daneben ein Zitat: »Aber Chef«, piepste ich kochend geil.

Erotische Erotik ist erotisch… denkt der Leser sich oft.

So eine Art Vorwort

Da sind sie nun also, deine Protagonisten. Vielleicht heißen sie Samantha und Josephine. Oder Eltor und Aranna. Vielleicht aber auch einfach Horst und Herbert. Oder auch Gisela und Günther, und Heinz hält die Kamera. Du hast sie durch finstere Gassen gejagt, in den offenen Lauf von Pistolen blicken lassen, mit einer unfreundlichen Aushilfe an der Käsetheke oder einem Drachen konfrontiert (und niemand weiß, was schlimmer ist!). Sie haben sich schon durch so manches Abenteuer gekämpft, sich gestritten und wieder versöhnt, mit dem Plot gerungen, vielleicht auch zwischendurch gedacht, dass sie sich eigentlich gar nicht wirklich mögen und lieber getrennte Wege gehen sollten. Oder vielleicht ist das auch der Anfang ihrer Geschichte, aber jetzt sind sie an diesem einen, so schwierigen Punkt: Sie wollen Sex haben.

Ja, wat nu? Bei dieser Frage bilden sich selbst bei gestandenen Autoren oft Schweißtropfen auf der Stirn, denn auf einmal ist das Vokabular weg, die Vorlagen rar gesät und die eigene Scham plötzlich übermächtig.
Er führte sein groß gewachsenes Glied in ihre
Nein, das klingt doof. Viel zu medizinisch.
Mit einem schnellen Stoß
Nein, das klingt, als würde er ihr am Ende weh tun. Vielleicht eher…
Ganz vorsichtig, milimeterweise

Na, so kann das ja Tage dauern. Gibt es eigentlich noch Kaffee? Und sollte ich nicht mal wieder die Fenster putzen? Wie haben eigentlich nochmal Schnecken Sex?

Und zack! Ist man wieder ganz woanders. Was soll man denn bitteschön schreiben, und wie?

Ja, fragt nicht mich, ich weiß es doch auch nicht! Ich möchte hier weder eine Anleitung geben, wie man Körperteile zu titulieren hat, noch möchte ich bestimmte Abfolgen, Stellungen oder gar Definitionen von guten geschriebenem Sex festlegen.

Regeln schränken die Fantasie ein, statt sie anzuregen, und Vorlagen bewirken meistens nur, dass man sich an dem orientiert, was ohnehin nie besonders gut war. Denn die Frage ist nicht, wie man Sex schreibt. Wie schreibt man Sex, den man selbst als angemessen für das Buch, für die Charaktere, für die Szene, für die Situation empfindet? Wie kitzelt man das heraus, was den Leser wirklich mitreißt?

Statt hier Vorschriften zu machen möchte ich deshalb jedem, der gerne Erotik, oder auch nur eine erotische Szene schreiben möchte, eine Reihe von Fragen, Betrachtungen und Ideen mit auf den Weg geben. Denkanstöße und Hinweise, die leider allzu oft untergehen.

Bereit? Dann legen wir los!

Das Wichtigste vorweg: Sexszenen brauchen eine Daseinsberechtigung

Was so viel heißt wie: Eure Sexszene muss, wie jede andere Szene in einem Buch, eines dieser Kriterien erfüllen:

  • die Handlung voran treiben
  • die Charaktere in ihrer Entwicklung oder Beziehung voran bringen
  • dem Leser etwas Neues vermitteln

Denn sonst könnt ihr sie streichen. Eure Charaktere sind schon unsterblich ineinander verliebt und gönnen sich nur eine halbe Stunde auf dem Bärenfell? Weg damit. Euer Held geht nur ganz kurz einen wegstecken, um dann wieder in die Schlacht zu reiten? Braucht keine Sau. Die Heldin ist aber ganz kribbelig im Schritt und der Romeo der Story hat sie gerade in diesen Fahrstuhl gelotst? Völlig irrelevant.

Ja, den ganzen, schönen, wohlverdienten Smut braucht ihr nicht. Weg damit!

„Aber Tristan“, piepst ihr kochend (wenn auch nicht geil, sondern vielleicht vor Wut), „der tolle Sex zeigt doch erst, wie nahe sich mein Protagonistenpaar wirklich steht! Sie lieben sich und das zeigt sich im tollsten und erfüllendsten Sex, den sie jemals hatten!“

Woraufhin ich sage: „Ha! … Wo kann ich das lesen?!“
Äh, ich meine natürlich: „Ha! Das wollen wir doch erstmal sehen!“

Denn in den meisten Fällen finden sich in einem guten Buch viel intimere, herzergreifendere Momente als nur das fröhliche Rumgeruckel auf der Matratze! Momente, in denen Charaktere zueinander stehen, ehrliche Verletzlichkeit oder sehr große Gefühle zeigen, oder auch einfach große Vertrautheit, indem sie gemeinsam Spaß haben. Gegen all diese Szenen muss sich auch eure Sexszene messen. Es könnte sein, dass ihr letztendlich versteht, dass ihr die Sexszene gar nicht braucht, um zu beweisen, dass sich diese zwei Charaktere nahe stehen. Vielleicht war jedem auf Anhieb klar, dass die zwei sowieso den tollsten und erfüllendsten Sex der Welt haben würden, weil sie eben so ein tolles Paar sind. Und wenn das der Fall ist, und die Sexszene, die ihr zu schreiben vermögt, nicht an die Chemie der beiden heran reicht, die sie sonst zeigen, habt ihr euch am Ende selbst einen Bärendienst erwiesen.

Also, lesen, kürzen, die wirklich wichtigen Sexszenen anpacken, und weiter geht’s!

Frontcover eines Romans mit dem Titel „Die Firma - Die Dusche danach“ von Van Maddox. Daneben ein Zitat: Überrascht registrierte sie, dass Angels Glied den Biss mit einem nachdrücklichen Klopfen zwischen ihren Schenkeln quittierte.

Knusper knusper Knäuschen… oder so.

Persönlichkeiten und was das mit Sex zu tun hat

Schaut man sich einmal im Bereich der romantischen Literatur um, die sich in den Bereich Erotik vorwagt, trifft man sehr schnell auf bestimmte Themen, die immer wieder vorkommen. Da spanken hunderte Milliardäre und Millionäre ihre armen grauen Mäuse mit Reitgerten, werden abertausende junge Frauen plötzlich und unerwartet an schurkig gut aussehende Piraten und anderes Gesindel verhökert. Und fast noch mehr Männer und Frauen klingeln nach einem Umzug an der Nachbarstür, nur um einem Adonis gegenüber zu stehen, der zwar ein echter Arsch ist, aber doch sooo gut aussieht.

Nichts daran ist besonders überraschend, und sollte auch niemand einschüchtern. Was eine Geschichte besonders macht ist doch schließlich, wie man selbst die Charaktere schreibt. Man gibt ihnen ihre eigene Note, ihre Erfahrungen, ihre Wünsche, Träume, und natürlich auch ihre ganz eigenen Macken und Skurrilitäten.

Das wirkliche Verbrechen passiert allerdings dann, wenn Autoren in schöner Regelmäßigkeit genau die Charakterzüge aus dem Fenster werfen, die sie gerade eben noch etabliert haben, wenn es daran geht, durch die Betten zu toben.

Auch auf die Gefahr hin, Ausrufe wie „Oh nein, nicht DAS schon wieder!“ und „Nimm mich, Christian Grey!“ zu provozieren – Fifty Shades of Grey zeigt einfach nur fabelhaft, wie man einen Charakter auf Teufel komm heraus verbiegen und verdrehen kann, bis er in die Nische passt, in der man ihn haben wollte – selbst, wenn er da gar nicht hingehört. Am Anfang des Romans ist Anastasia Steele eine recht naive, romantisch veranlagte Frau, die noch nie das Bedürfnis hatte Sex zu haben, die Gesellschaft von Männern zu suchen oder auch nur zu masturbieren. Innerhalb eines Buches wird sie zu einer Person, die praktisch ständig bereit ist, Sex mit ihrem Supermilliardärslover und psychisch leicht angeknacksten End Game Christian Grey zu haben.

Jetzt will ich nicht behaupten, dass diese Entwicklung nicht denkbar wäre. Aber wie viel schöner und einfühlsamer wäre es gewesen, wenn Christian Grey sich tatsächlich darum bemüht hätte, die eher schüchterne Ana langsam und gefühlvoll an Sex heran zu führen? Wenn es ihr tatsächlich anfangs schwer gefallen wäre, eine Libido zu entwickeln und einem fremden Mann wirklich zu vertrauen?

Wir brauchen weniger Ana Steeles

In der Literatur finden sich tausende solcher Beispiele, in denen Menschen, die Sex haben, plötzlich ihre ganze Identität abstreifen. Im Rest des Romans verspielt und immer zu Scherzen aufgelegt, sind sie im Bett plötzlich bierernst und flüstern, ohne mit der Wimper zu zucken, Dinge wie: „Ja, Baby, stöhn für mich! Ich besorg’s dir richtig!“ Sätze, die selbst weniger humorvolle Typen zum Schmunzeln bringen würden, weil sie doch ein bisschen albern und pornös sind.

Ein Charakter, der mit einem anderen Sex hat, legt deshalb nicht seine Persönlichkeit ab. Ist er im realen Leben ernst und vorsichtig? Er wird vermutlich ernst und vorsichtig beim Sex sein. Ist sie im realen Leben wild und abenteuerlustig? Gut möglich, dass sie das auch ist, wenn sie sich mit ihrer Freundin vor dem Frühstück noch ein bisschen Spaß gönnt. Wenn ihr also eine Sexszene schreibt, behaltet auch im Auge, mit welcher Persönlichkeit die Charaktere in diese hinein gehen und welchen Einfluss das haben wird.

Körper sind vielfältig, in jeder Beziehung

Beachtet außerdem, dass nicht jede Anatomie gleich ist. Für jede Person, die wie wild stöhnt, wenn die Brustwarzen geleckt werden, gibt es eine, deren/dessen Brustwarzen absolut unempfindlich sind, oder so überempfindlich, dass eine Berührung unangenehm ist; Personen, denen die eigenen Brüste überhaupt nicht gefallen oder dysphorisch wegen ihnen sind. Aber auch Menschen, die eine Stimulation der Brustwarzen als viel wichtiger erachten als zum Beispiel irgendeine Art von Penetration.

Charaktere haben genau so wie reale Menschen erogene Zonen, und auch solche, die einfach nur kitzlig sind. Sie haben unterschiedlich geformte Genitalien, die mal länger, mal kürzer, mal faltiger, mal glatter, mal dunkler und mal heller als der sonstige Hautton sind. Und Charaktere haben auch No-Gos und finden Schamhaare mal super sexy, und mal super eklig. Sie stehen auf Füße, auf Strapse, auf Peitschen, auf Fursuits und Missionarsstellung mit langen Küssen.

Was euer Charakter mag, wie er aussieht, wie schnell sier zum Orgasmus kommt? Ich habe keine Ahnung! Ich will es herausfinden, wenn ich von ihnen lese! Wichtig ist, dass ihr euch Gedanken darüber macht, was sie mögen würden, und nicht, was sie gefälligst zu mögen haben, weil mal irgendwo stand, dass das doch sexy sei.

Beziehungen oder: Wie Lucy und Jim Bob den Werwolf besiegten

Gerade eben haben wir noch darüber gesprochen, was eure Charaktere sexuell eigentlich so mögen. Da gibt es dann aber auch die Sachen, die ihre Partner mögen, und da sind wir bei der individuellen Beziehung zwischen den Charakteren angelangt.

Denn sicher, eure Charaktere lieben sich vielleicht (oder haben einfach nur richtig Druck. Das dürfen sie ruhig mal zugeben!). Aber was haben sie eigentlich schon zusammen erlebt? Wie sehr können sie sich vertrauen? Wie lange kennen sie sich überhaupt? Was wissen sie voneinander? Wissen sie wirklich, was der andere mag und von Sex erwartet?

In Romanen begegnet dem Leser oft ein frisch verliebtes Paar, das zum ersten Mal Sex hat und sofort, ohne weitere Absprache, ohne Missverständnisse und Fehlversuche, auf einer Wellenlänge ist (und wenn wir schon bei Länge sind – schaut oben nochmal nach!). Alles ist super, und ganz einfach, und niemand stellt plötzlich fest, dass diese eine Stellung, die sie gerade ausprobieren, vielleicht doch irgendwie weh tut, oder sich anfühlt, als würde man eine Gurke in ein Scheunentor werfen.

„Aber Tristan, es ist nicht besonders romantisch, wenn man beim Sex plötzlich fest stellt, dass alles keinen Spaß macht und irgendwie doof ist“, sagt ihr jetzt vielleicht. Das mag schon stimmen, eine Panne beim Sex ist nicht unbedingt romantisch. Aber es wäre sehr romantisch und authentisch, wenn die Charaktere nach so einer Panne miteinander kommunizieren, auf einander eingehen, sich vielleicht fangen und danach guten Sex haben. Oder sich eingestehen, dass es gerade nicht der richtige Moment für Sex ist, und später besseren und erfüllenderen Sex haben.

Sex mit einer beleidigten Leberwurst? Nein danke!

Zudem ist es ganz wesentlich, welche Beziehung die Charaktere sich bisher erarbeitet haben. Sind sie entspannt gegenüber dem anderen, müssen sie fürchten, etwas Falsches zu sagen oder ihr Gesicht zu verlieren? Jeder, der mit Christian Grey Sex hätte, müsste vermutlich ständig im Hinterkopf haben, dass man diesen kindischen Milliardärsschauspieler auf praktisch eine Milliarde Arten tödlich beleidigen kann. Entsprechend wäre Entspannung bei einer schüchternen Person wie Ana Steele eigentlich nicht zu erwarten – sie wäre, wie auch außerhalb der Sexszenen, vermutlich immer darauf gefasst, dass sie etwas Falsches sagt oder tut und deshalb Ärger kriegt. Entspannter Sex wird so schwer möglich.

Charaktere tragen nicht nur ihre eigene Persönlichkeit mit sich, sondern auch ihre Beziehungshistorie. Sie erinnern sich an gemeinsame schöne, aber auch schreckliche Erlebnisse, Triumphe und Momente, in denen sie sich besonders vertraut haben. Und diese Beziehungen prägen das Sexualleben genau so stark wir die Persönlichkeiten an sich. Kein Paar wird auf genau die gleiche Weise Sex miteinander haben, genau den gleichen Rythmus finden und alles genau so tun wie beim letzten Partner. Und die Art, wie sie Sex haben, wird die Beziehung an sich wiederspiegeln.

Wenn Lucy und Jim Bob wissen, dass sie zusammen einen Werwolf besiegen konnten, weil sie sich wirklich vertraut haben, wird dieses Vertrauen ihnen später beim Sex leichter fallen. Wenn sie den Werwolf aber nur besiegen konnten, indem sie gegen den anderen gearbeitet und seine Dummheiten und planlosen Aktionen ausgebügelt haben, wird das ebenfalls im Gedächtnis bleiben.

Ach ja, Lucy lässt immer alles fallen, lass sie jetzt nicht die BDSM-geeignete Wachskerze halten, sonst… Und schon brennt der Teppich! Jim Bob hätte es halt doch mit Jean Pascal versuchen sollen. Die Stimmung ist ruiniert! Apropos Stimmung…

Wie fühlst du dich, und was hast du eigentlich vor?

Viel zu viele Sexszenen haben den einen, und immer nur den einen Ausgangspunkt: Die Charaktere sind richtig rollig.

Nun ist gegen rollig sein im Allgemeinen und auch im Speziellen nichts einzuwenden, aber seien wir doch mal ehrlich, es gibt tausend gute Gründe, Sex zu haben. Man kann dabei zwei Gegebenheiten betrachten: Die Stimmung, in der sich der Charakter befindet, und das Ziel, das sier in diesem Moment verfolgt. Beide können miteinander kongruent sein, müssen es aber nicht.

Wenn wir vom einfachsten Fall ausgehen, sind die Charaktere geil und wollen das abstellen, indem sie Sex haben. In diese einfache Motivation kann sich aber noch viel mehr mischen. Vielleicht sucht einer zum Beispiel Bestätigung, dass er tatsächlich sexuell anziehend genug ist, genau diese eine Person zu verführen. Vielleicht ist sie sich nicht sicher, ob sie wirklich und wahrhaftig geliebt wird, und will eine Bestätigung dafür. Es könnte um ein Machtspiel gehen, oder darum, endlich wieder einmal gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen, um Entspannung, oder einfach nur den Zeitvertreib, weil es einfach sonst nichts zu tun gibt. Vielleicht ist eine der teilnehmenden Personen traurig und erhofft sich von den zwei Partnern etwas Aufmunterung, eine gehobenere Stimmung, oder den anstrengenden Tag zu vergessen. Vielleicht ist es auch einfach ein Job, ein Arrangement, eine Transaktion gegen Geld. Der Grund für den Sex sollte variieren können.

Haben wir nicht gerade etwas völlig anderes gemacht?!

Wichtig ist dieser Fakt auch deshalb, weil es keine Dissonanz zwischen dem vorherigen Geschehen der restlichen Szenen und der Sexszene an sich geben sollte. Vielleicht sind Marianna und Carmila gerade unter Beschuss in einem Lieferwagen mit einem geplatzten Reifen durch die Stadt geheizt, haben alle Bullen abgehängt und sind noch vollgepumpt mit Adrenalin. Es wäre absolut denkbar, dass sie, überwältigt von Stress und noch auf 180, wilden Sex im Flur hätten. Die Stimmung der beiden wäre aufgeheizt, das Ziel, den überwältigenden Emotionen ein Ventil zu geben. Eher unwahrscheinlich und in völliger Dissonanz zum eben Geschehenen wäre es dann, dass sie erst einmal ein langes, romantisches Schaumbad nehmen, sich gemächlich den Rücken einseifen und darüber plaudern, wie man am besten einen Safe knackt, bevor sie dann romantisch und gemütlich im Bett landen.

Man beachte dabei, dass all die Umstände einer Sexszene noch nichts darüber aussagen, wie romantisch, oder unromantisch, wie sexy oder unsexy, wie gefühlvoll oder gefühlskalt letztendlich der Sex ablaufen wird. Sex aus Langeweile kann richtig viel Spaß machen, und Sex, bei dem alle Parteien wirklich geil aufeinander sind, kann sich als absolute Enttäuschung entpuppen. Denn letztendlich stellt sich auch die Frage:

Was soll der Leser eigentlich spüren?

Nicht jede Sexszene soll romantisch sein, und nicht jeder Sex ist erotisch aufgeladen. Der Irrglaube, dass Sex immer romantisch und sexy ist bringt viele dazu, immer wieder die gleiche Sexszene in leicht abgewandelter Form zu schreiben. Sie beschränken damit den Ausdruck ihrer Geschichte extrem und wiederholen sich auch sehr schnell.

Genauso, wie die Charaktere unterschiedliche Stimmungen spüren können und unterschiedliche Ziele beim Sex verfolgen können, kann auch die Szene an sich völlig variable Ziele haben und völlig unterschiedliche Stimmungen hervor bringen. Sex kann erotisch, aber lieblos sein, und dadurch eine Dissonanz im Leser auslösen, ein diffuses Unbehagen, warum das, was sich zwischen den Helden abspielt, sich irgendwie doch so falsch anfühlt. Eine Sexszene kann Geborgenheit und ein Wohlgefühl vermitteln, ein Beweis dafür, dass die Charaktere sich vertrauen, zusammen gehören und sich gegenseitig Halt geben, der nicht die sexuelle Fantasie, sondern den Wunsch nach Harmonie anspricht. Eine Sexszene kann heftig und rücksichtslos sein und transportieren, dass die Charaktere sich gegenseitig schaden, sich gegenseitig überlasten, ignorieren, vielleicht sogar subtil misshandeln.

Sex an sich ist als Handlung nicht zwangsläufig gut oder schön, selbst wenn alle beteiligten Charaktere im absoluten Einverständnis miteinander agieren. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Und genau so, wie eine Sexszene absolut unbefriedigend sein kann, obwohl sich die Orgasmen bei den Protagonisten jagen, kann eine orgasmusfreie Sexszene, die mit Kuscheln endet, absolut erotisch, stimmig und herzerwärmend sein.

An diesem Punkt laufen alle Fäden zusammen: Die Persönlichkeiten der Charaktere, ihre Vorlieben, ihre Beziehungen untereinander, ihre Stimmung und ihre Wünsche verbinden sich zu einer Szene, in der die Charaktere so natürlich wie in jeder anderen Szene kommunizieren, ihre Ziele verfolgen, ihre Wünsche ausdrücken, ihre Träume ausleben und ihre Beziehung zueinander entwickeln.

Und jetzt, wenn alle diese Punkte klar sind, ist es an der Zeit, zu schreiben!

Na gut, aber was passiert überhaupt?!

In jedem Bereich, sei es eine Verfolgungsjagd, ein Kampf oder einfach ein langer Dialog, hat es sich für mich persönlich als hilfreich erwiesen, eine Handlungsabfolge anzulegen. Die kann übrigens sehr grob und einfach sein:

  • Robert küsst Tom in der Küche
  • Tom zieht Robert aufs Sofa
  • Robert liegt auf Tom und zieht ihm das Shirt aus
  • Die restliche Kleidung ziehen sich beide selbst aus
  • Analsex im Doggystyle
  • Masturbation
  • Ausruhen
  • Waschen
  • Weiter Gemüse schnippeln

Hey, das war doch gar nicht so schwer! Jetzt füllen wir Details auf, die uns im ersten Moment zum Ort des Geschehens einfallen: Ein Sofa bietet nicht unendlich viel Platz und hat im Normalfall viele unnütze Kissen, die den ganzen Platz verstopfen – kann man einbauen. Wo ist das Schlafzimmer? Weit genug weg, dass man nicht erst dorthin will (Notiz: Hausplan überprüfen, mit anderen Szenen abgleichen) Kondome und Gleitgel in der Nähe? Ja, Robert ist gerade nach Hause gekommen und hat Reserven in seiner Laptoptasche, die er schnell herbei schaffen kann. Gut einsehbare, bodentiefe Fenster, die man schon in vorigen Kapiteln erwähnt hat? Entweder ein Anknüpfungspunkt für den Fortgang der Handlung, oder Vorhänge vorziehen!

Merkt ihr noch was? Ja, es geht hier gerade noch absolut unerotisch zu. Diese Art der Planung beschäftigt sich erst einmal nur mit dem groben Wie? und Wohin?, statt mit den erotischen Details. Hier geht es nur darum, die Grundlagen für die Szene abzustecken. So etwas kann vor allem dann helfen, wenn man sich beim Schreiben der Szene selbst eben nicht mehr damit beschäftigen will, ob das denn auch alles plausibel ist und so in die Handlungsabfolge hinein passt. Außerdem kann man sich so auch schon rein logisch überlegen, ob das, was man da plant, wirklich so funktioniert, wie es zuvor gedacht war.

Bei der Macht des Thesaurus, ich habe das Vokabular!

Zumindest hoffe ich, dass ihr es habt, denn wenn nicht – los, denkt es euch jetzt aus! Sammelt euch einen Vorrat an Redewendungen, Begriffen und Synonymen, die ihr auch ehrlich, wirklich, in diesem Werk verwenden wollt.

Und damit meine ich, in genau diesem einen Werk, passend zu genau den Charakteren, die darin verkommen. Denn während ein tougher Privatdetektiv vielleicht ganz zackig von seinem Schwanz reden und dabei nicht albern erscheinen kann, wird der edle Sir Briansworth so ein vulgäres Wort für sein Organ nicht in den Mund nehmen (wenn auch das Organ des Sir Fendercrumble, wenn es dann so weit ist).

Was ich damit sagen will: Euer Vokabular muss zur Stimmung der Geschichte und zum Setting genauso passen wie zu den Charakteren und dem Vokabular, mit dem auch sie sich wohlfühlen würden. Eine viktorianische Jungfrau, die plötzlich ganz offen vor ihrer gesitteten Cousine davon spricht, mal richtig geil durchgefickt zu werden, nimmt nämlich keiner ernst. Ein moderner Charakter mit einem lockeren Mundwerk und einer entsprechenden Libido könnte aber durchaus den Wunsch dazu äußern, ohne abgeschmackt zu wirken, sondern nur ein bisschen zotig und einen Tick vulgär.

Das heißt im Umkehrschluss auch, dass ihr euch trauen könnt, Worte zu verwenden, die euch in anderem Kontext eher negativ aufgefallen sind, wenn ihr das Gefühl habt, dass sie zur Situation passen. Nur weil euch ein weniger gelungenes Werk die ganze Zeit mit dem Wort Schwanz bedrängt hat, muss das nicht heißen, dass ihr niemals über Schwänze schreiben solltet.

Denn der Fehler liegt seltener bei den Worten an sich und viel öfter direkt beim aufgebauten Gesamtvokabular.

Mir ist das alles schrecklich peinlich!

Und damit sind wir schon fast am Ende und bei einem wichtigen Punkt: Man sollte keine Sexszenen schreiben, wenn man sich innerlich absolut dagegen sträubt und überhaupt nicht wohl fühlt.

Einerseits beim Schreiben selbst: Gibt es vielleicht Akte, die man auch im realen Leben scheut, aber über die man sich zwingt zu schreiben, weil sie überall auftauchen? Ist man unsicher, weil man nicht genug recherchiert hat, und sollte ein Buch oder einen Bericht konsultieren? Kann man sich in das Geschehen nicht hinein versetzen, weil die Szene gerade zu früh kommt (no pun intended!), oder vielleicht zu erzwungen ist? Kann der Inhalt der Szene vielleicht auch auf andere Weise transportiert werden, und eine ähnliche Szene ohne Sex wäre viel wirkungsvoller?

Es kann aber auch passieren, dass ihr beim Überarbeiten eine Szene lest, die ihr vorher sehr gut fandet, plötzlich aber nicht mehr lesen mögt, oder zumindest nicht alles davon. Auch das kann verschiedene Ursachen haben: Fallen später Inkongruenzen im Vokabular auf, oder vielleicht auch in der Handlungsabfolge, und plötzlich wirkt alles nur noch dämlich? Passen vielleicht simpel einige Zeilen nicht mehr, die man lieber kürzt? Ist alles zu schwülstig, oder doch alles zu emotionslos und platt? Oder hat sich vielleicht die Bedeutung der Szene mit der Zeit gewandelt, und sie erscheint jetzt zu krass, zu unnötig, nicht mehr passend zur Handlung, oder einfach oberflächlich?

Egal, woran es letztendlich liegt, eine Sexszene braucht genau so viel Überarbeitung wie jede andere Szene auch, und deshalb

Das Wichtigste zum Schluss: Zeit nehmen, doppelt lesen, pausieren

Es ist schwierig, eine passende Stimmung zu definieren, in der man sein sollte, um eine Sexszene zu schreiben. Ich persönlich finde, dass Autoren mehr Fehler machen und mehr Unsinn schreiben, wenn sie zu 100% erregt von der eigenen Szene sind. Es ist übrigens trotzdem völlig normal, von der eigenen Sexszene erregt zu sein – das heißt aber nicht, dass sie in diesem Zustand besonders gut geschrieben wird. Ich denke jeder hat schon einmal eine Sexszene gelesen, die daher kommt, als wäre sie einhändig geschrieben worden. Oder vielleicht auch mit der Nase.

Letztendlich, wenn ihr euch wirklich nicht sicher seid: Text markieren, kopieren, in ein leeres Dokument einfügen, auf Speichern drücken und da ablegen, wo alles zusätzliche Material landet.

Vielleicht werdet ihr die Szene beim nächsten Überarbeiten ja vermissen.

Vielleicht aber auch einfach nicht.

 

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